Joseph Hipper (1894-1932), der 'Flieger von Landsberg'



Solange ich zurück denken kann, wusste ich, dass mein Großonkel Sepp Flieger im 1. Weltkrieg war. Nachdem ich vor etlichen Jahren eine kleine Biographie über meinen Urgroßvater geschrieben habe, wollte ich auch an seinen ältesten Sohn erinnern. Der größte Teil der Informationen stammt aus "Mein Lebenslauf", den Memoiren meines Urgroßvaters, in der er seinem ältesten Sohn ein eigenes Kapitel widmet. Daneben habe ich Onkel Sepps Personalakte im Bayerischen Kriegsarchiv studiert.


Joseph Hipper wurde am 24. Juli 1894 als ältestes Kind von Isidor Hipper und seiner Frau Anna in Marquartstein geboren. Joseph war, so schreibt sein Vater in seinen Memoiren, ein Siebenmonatskind, "ein armseliges Kind, das in einem Maßkrug Platz gefunden hätte". Der Grund für Josephs zu frühe Geburt war für Isidor, die Unsitte des 'Schnürleibs', der zur Bleichsucht führte. Da die Mutter ihr Kind nicht stillen konnte, wurde der kleine Joseph mit Kuhmilch aufgezogen, was (wiederum Isidors Meinung) zu Vitamin D-Mangel führte und die Entwicklung des Buben negativ beeinflusste. Mit einem knappen Jahr wäre der kleine Joseph beinahe gestorben, erholte sich dann aber wieder.

1898 zog die Familie Hipper nach Landsberg am Lech, wo Isidor Hipper als Lehrer an der dortigen Volksschule eine neue Stelle gefunden hatte und wo er später Direktor des Knabenpensionats wurde. Mit elf Jahren erkrankte Joseph wiederum schwer. Eine Geschwulst entwickelte sich im Hals. Es stellte sich heraus, dass die Schilddrüse betroffen war, die daraufhin zum Teil - seinerzeit noch ohne Narkose - entfernt wurde. Als in der folgenden Zeit, die schulischen Leistungen seine Sohnes insbesondere in naturwissenschaftlichen Fächern schlechter wurden, war für Isidor Hipper klar, dass dies die Folge der Operation sein musste.

Familie Hipper 1910
Familie Hipper 1910
Irmengard, Rosamunde, Anna, Mutter Anna, Heinrich, Vater Isidor, Hans und Joseph Hipper



Joseph Hipper 1914
Joseph Hipper 1914
Nachdem Joseph 1911 die Realschule beendet hatte, trat er in Altstätten im Rheintal (Kanton St Gallen, Schweiz) eine Lehre als Kaufmann an. Sein Lehrherr brachte ihm allerdings, so erzählte Joseph seinem Vater später, nicht viel bei und verleitete ihn sogar dazu, Geld aus der Kasse zu stehlen, das sie dann gemeinsam im Wirtshaus vertranken. Nach Abschluss der Lehre im Frühling 1914 bekam Joseph eine Stelle als Verkäufer in einem Geschäft in der Bayerstraße in München.

Der 1. Weltkrieg
 
Als am 1. August 1914 der Krieg begann, meldete sich Joseph Hipper, gerade zwanzig Jahre alt, wie viele andere junge Männer in den kriegführenden Ländern, freiwillig. Die ersten Jahre des Krieges war er Artillerieoffizier. Er war an verschiedenen Gefechten an der Westfront und der Ostfront sowie an den Stellungskämpfen an der Westfront beteiligt. In dieser Zeit wurde er als Telephonist und Richtkanonier, als Beobachter und Leiter von Unterstandsbauten, als Verbindungsoffizier und Artilleriebeobachter eingesetzt.

1917 überraschte Joseph seinen Vater mit der Ankündigung, dass er zu den Fliegern gehen wolle. Was Isidor noch mehr überraschte war, dass sein Sohn auch zur Ausbildung zum Piloten angenommen wurde. [10. Juni 1917, Versetzung zur FEA (Fliegerersatzabteilung, Flugschulen)]

Die Piloten des ersten Weltkriegs waren das glamouröse Gesicht dieses ansonsten grimmigen und grauen Krieges (auch wenn die Bevölkerung die wahren Gräuel noch gar nicht kannte). Vornehmlich waren es die Jagdflieger wie Manfred von Richthofen, Oswald Bölcke oder Ernst Udet, die - oft zum Unwillen der Personen selbst - zu Rittern der Lüfte stilisiert wurden. Aber auch ein 'einfacher' Artillerieflieger, wie es Joseph Hipper war, erregten großes Aufsehen, da das Flugzeug zu dieser Zeit noch eine ganz neue Erfindung war.


Seine Ausbildung zum Piloten absolvierte Joseph im Lager Lechfeld. Von dort flog er immer nach Landsberg, um seine Familie zu besuchen. Bei einem von Josephs Besuchen, wurde er von der Presse fotografiert. In der Stadt wurde ihm der Spitzname "der Flieger von Landsberg" gegeben. Bei einem unerlaubten Ausflug zur Stoffelmühle bei Fünfstetten im Ries, wo Verwandte lebten, landete Joseph dort auf einer Wiese. Da die Wiese sehr nass und weich war, sanken die Räder des Flugzeuges beim Landen ein und das Flugzeug ging zu Bruch. Wie Sepp den Verlust des Flugzeugs im Lager Lechfeld erklärte, wusste sein Vater nicht. [In meinen Notizen zur Personalakte findet sich kein Hinweis auf ein verlorenen Flugzeug.]

Eine andere Beinahkatastrophe hat Joseph seinem Vater wohl verheimlicht, sonst hätte Isidor sie sicher in seinen Memoiren erwähnt. Im Januar 1918, noch während seiner Ausbildung zum Piloten im Lager Lechfeld, wäre Joseph fast aus der Armee entlassen worden: Zum großen Entsetzen seiner Vorgesetzten hatte Joseph Hipper mehrmals Frauen ins Lager eingeladen und sie auch in seinem Zimmer im Lager Lechfeld übernachten lassen. Seine Entschuldigung war, dass seine Besucherinnen den letzten Zug verpasst hatten und er ihnen eine Unterkunft zur Verfügung hätte stellen müssen. Eine ganze Reihe von Schreiben in der Personalakte beschäftigen sich mit diesem Vorfall.

So schreibt Oberleutnant Egerer, Führer der Fliegerschule, am 18. Januar 1918 [soweit ich das Schreiben lesen konnte]: "Ich habe den Eindruck, daß Lt. Hipper nicht den geringsten Wert darauf legt … [?] und seine Ausbildung abzuschließen, er müßte längst feldfertig sein.
Umso tüchtiger ist Lt. Hipper aber im Weiberbetrieb; trotz wiederholtem Verbot auch durch den Herrn Kommandeur des Truppen Übungs Platzes Lechfeld, fährt Lt. ununtersagt fort Frauenzimmer in seiner Dienstwohnung zu beherbergen.
Kürzlich zog Lt. Hipper diesen Frauenzimmer - er nennt sie zwar "Damen" - [?] Pelzmäntel an u. fuhr mit ihnen am hellen Tag im Schlitten durch das Lager.
Vorher hatte er versucht von einem technischen Offizier zu diesem Zweck ein Auto zu bekommen!"
Joseph Hipper, der Flieger von Landsberg
Joseph Hipper (rechts) in Fliegermontur und mit Doppeldecker
gemeinsam mit seinen Eltern Isidor und Anna Hipper und Schwester Mariele
Landsberg am Lech, ca. 1917


Die Schwere dieses Vergehens wurde von verschiedenen Offizieren unterschiedlich bewertet. Während einige forderten, Joseph Hipper als schädlich für den "forschen Geist, der bei unseren Fliegeroffizieren herrscht" aus der Truppe zu entfernen, beurteilten andere den Vorfall als weniger gravierend. Sie empfahlen, Leutnant Hipper an die Front zu versetzen, wo er "bei gutem Willen und strenger Aufsicht eines energischen Abteilungsführers sehr wohl noch tüchtiges über dem Feinde leisten kann, ohne dem guten Geist einer Flieger-Abt. zu schaden".

Die Affäre zog sich etliche Monate hin, u.a. da der Kommandeur abwesend war. Schließlich wurde festgestellt, dass sich Joseph Hipper bereits an der Front befand und sich "durch sehr gute Flugleistungen und vorzügliches dienstliches wie ausserdienstliches Verhalten bewährt hat".

Ein Indiz, dass Joseph seinem Vater tatsächlich diese Probleme verheimlich hat, ist ein Schreiben in Josephs Personalakte, dass sich Isidor Hipper Anfang Juni 1918 bei der Abteilung nach Joseph erkundigte, weil er seit drei Monaten nichts von seinem Sohn gehört hatte.

Am 6. Juni 1918 wurde Joseph während eines Fluges von einem feindlichen Maschinengewehrgeschoss am Fuß verletzt und verbrachte einen Monat im Feldlazarett Montigny. Dies war zwar nicht der einzige Aufenthalt Josephs im Lazarett, die anderen waren aber auf Grund von Ruhr oder Blasenkatarrh.

Nach dem Ende des Krieges am 11. November 1918 kehrte Joseph nach Hause zurück. Auf dem Weg nach Landsberg wurde er in München von Rotarmisten beschimpft. Doch noch einmal zog Joseph in den Krieg, in der "Eisernen Division", um im Baltikum gegen die Bolschewisten zu kämpfen. Der Einsatz deutscher Truppen im Baltikum wurde jedoch im Verlauf der Friedensverhandlungen der alliierten Siegermächte unterbunden, und Joseph wurde 1920 aus dem Dienst entlassen.


Familie Hipper 1924
Familie Hipper 1924
vorne: Isidor Hipper mit Enkel Helmut, Joseph, Anna Hipper, Rosamunde mit Ehemann Hans Giehl
hinten: Hans, Anna & Clara (Cousinen von Isidor), Irmengard, Anna, Mariele


Nachkriegszeit

Wie viele andere Kriegsheimkehrer hatte es Joseph schwer, sich wieder in das Alltagsleben einzufinden. Eine Zeitlang war er bei der "Reichsgetreidegesellschaft" beschäftigt, kurzfristig in einem Fahrradgeschäft in Kemnath (Oberpfalz), als Aushilfspräfekt bei seinem Vater im Knabenpensionat Landsberg und in einer anderen Schule in Neuburg an der Donau, bei einem Getreidehändler in Buchloe und schließlich bei der Baywa in Landsberg. Als Joseph in Landsberg Schulden machte - er verbrachte seine Abende gerne im Gasthaus, wo er durch seine Späße und sein Musizieren oft die gesamte Gesellschaft unterhielt - lief er im Sommer 1925 weg und verschwand spurlos. Drei Monate verbrachte er in Österreich wo er sich mehr schlecht als recht durchschlug. Erst im Oktober meldete er sich aus Berchtesgaden bei seiner Schwester Irma, die ihn wieder nach Hause holte.

Nach einer längeren Zeit der Arbeitslosigkeit nahm Joseph eine Stelle bei der Sparkasse in Landsberg an. Dort war ein angesehener und geschätzter Mitarbeiter.


Sepp mit Freunden und Familie
Joseph (ganz rechts) mit seinem Vater Isidor (hinten, links) und Schwestern Mariele (Mitte) und Anni (2. von rechts), 1930


Es war wohl eine Verkettung verschiedener Aspekte, die Joseph schließlich zum Selbstmord trieben. Ein schwerer Schicksalsschlag war der Tod seiner Mutter Anna, zu der er ein inniges Verhältnis hatte, am 4. März 1931. Im Oktober des folgenden Jahres zog sein Vater Isidor nach Marquartstein. Joseph lebte weiterhin im Landsberger Pensionat, "notdürftig untergebracht" im Krankenzimmer. Isidor Hipper wurde später erzählt, Joseph wäre beim "Fensterln" vermutlich von einem erbosten Verwandten (möglicherweise dem Vater?) mit einer Schaufel so heftig auf den Kopf geschlagen worden, dass er am nächsten Tag nicht in die Arbeit gehen konnte, was ihm wiederum eine offizielle Abmahnung von seinem Arbeitgeber einbrachte. Außerdem erwähnt Isidor noch ein überhastetes Eheversprechen, das Joseph schwer belastet habe. Der Schaufelschlag, die Rüge und das Problem des Eheversprechens mögen Auslöser der Tat gewesen sein, aber wohl weniger der Grund. Der Verlust der ihm so wichtigen Mutter, die äußerst unangenehme Wohnsituation nur geduldet im Hause einer anderen Familie und vielleicht ein Gefühl von Hilflosigkeit und "das soll jetzt mein Leben sein", werden schwerer gewogen haben.

Joseph Hipper war ein Mensch, der sich durch widersprüchliche Eigenschaften auszeichnet: Einerseits war er voreilig, unüberlegt und konnte auch mit seinem Geld nicht haushalten. Er hatte sicherlich eine Tendenz zum 'Bummeln', was sowohl sein Vater als auch einige seiner Vorgesetzten in der Armee beklagten. Andererseits wurde er, in seiner Personalakte und von seinem Vater, immer wieder besonders für seine Zuverlässigkeit und seinen Fleiß gelobt. Sein Vater erwähnt auch, dass er ein äußerst talentierter Autofahrer war. Noch viele Jahre später wurde meiner Mutter und Tante erzählt, was für ein liebenswerter und lustiger Mensch ihr Onkel Sepp gewesen sei. Offensichtlich war er in vielerlei Hinsicht begabt, zudem lustig, gesellig und bei seinen Geschwistern, Freunden und Bekannten äußerst beliebt. 

Trotzdem war Joseph, wie aus Isidors Memoiren deutlich zu entnehmen ist, sein ältester Sohn oft eine herbe Enttäuschung für seinen Vater. Zu unterschiedlich waren ihre Charaktere: Isidor Hipper, ein disziplinierter und äußerst tatkräftiger Mensch, hatte durch Fleiß, Disziplin und Intelligenz ein bedeutende Stellung erreicht hatte. Joseph scheint dagegen die schönen Seiten des Lebens genossen zu haben, ohne sich groß Gedanken über die Zukunft zu machen.


 

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